Das Jubiläumsklassentreffen

der Kriegskinder - Nachkriegskinder - Wunderkinder

Roman von Rudolph von der Brüggen, 2. Auflage

Leseprobe

Kurz zur "Dramaturgie" meines Buches
und einige Leseproben

 

Wie immer beginnt das Klassentreffen an einem Freitagnachmittag und soll - weil es das Abitur-Jubiläumsklassentreffen ist - bis Sonntagnacht dauern. Deshalb fängt meine Erzählung auch mit der Beschreibung der Ankunft der ehemaligen Schüler an einem sonnig-warmen Freitagnachmittag im Juni 2006 im Beerheimer Hof, dem Ort des Geschehens, an.

Nach dem gemeinsamen Abendessen sucht die Klasse nach einem Thema, das alle interessiert und zum Erzählen und Diskutieren animiert. So war das bei den Klassentreffen der früheren Oberprima immer so. Die Klasse verständigt sich darauf, dass jeder, der dazu bereit ist, der Klasse berichtet, wann, woher und unter welchen Umständen er zur Klasse gestoßen ist und wie sein Leben jetzt Siebzigjähriger aussieht. Schon nach den ersten Kurzbiografien dieser Art werden sich die Klasse und ihr 96 Jahre alter ehemaliger Klassenlehrer Dr. Steiner bewusst, dass es der Weltkrieg und seine Folgen wie Evakuierung, Vertreibung  und Verfolgung waren, die dazu geführt haben, dass genau diese Klasse mit genau diesem Klassenlehrer entstand. Als Ort dieser Entstehung habe ich das ländliche Hessen gewählt, weil ich mich dort einigermaßen auskenne. Dabei bin ich mir bewusst, das alles, was ich berichte, an jedem beliebigen Gymnasium in der alten Bundesrepublik möglich gewesen wäre.

Der charismatische und geschichtsbesessene Dr. Steiner ist es, der wie ein guter Moderator dafür sorgt, dass die Biografien der Teilnehmer ausführlicher und vor allem persönlicher werden. Die Ria Neufuhs, die an einem Frankfurter Gymnasium Lehrerin für Deutsch war, ist die erste, die dieser Anregung folgt und ihrer unwissenden alten Klasse von ihrer sorglosen Kindheit als Tochter eines Arztes im böhmischen Karlsbad, von der Verschleppung ihres Vaters in die Sowjetunion und von der gewaltsamen Vertreibung der Restfamilie berichtet.

 

Als Leseproben werden nachfolgend die Seiten 63 bis 65 wieder gegeben.

 

Wie fast immer, wenn der Vater abends nicht nach Hause kam, kroch ich ins breite Ehebett und schlief neben meiner Mutter. Am nächsten Morgen, ganz früh, klingelte es heftig an der Haustüre und man hört einen Mann rufen. Natürlich glaubte ich, es sei der Papa, aber die Mutter wusste es besser. Sie zog sich schnell einen Morgenmantel über und eilte nach unten. Ich rannte zum Fenster und sah unten in der Morgendämmerung Dr. Blaha stehen. Er hatte sein Rad an unseren Zaun gelehnt und sprach ganz aufgeregt mit meiner Mutter. Verstehen konnte ich nichts, aber es musste etwas Schlimmes gewesen sein. Denn ich sah noch, wie meine Mutter die Hände vors Gesicht schlug und danach ganz langsam Schritt für Schritt ins Haus zurückkehrte, während Dr. Blaha sich auf sein Rad schwang und entschwand. Mir wurde schlecht vor Angst um meinen Vater. Ich ging nach unten und sah meine Mutter mit weißem Gesicht im Hausflur stehen. `Sie haben uns den Papa geholt, die Russen sind’s gewesen´, sagte sie mehr zu sich selbst als zu mir. Ich begann sofort zu weinen, wurde aber von der Mutter umarmt und ins Wohnzimmer geführt. Sie hatte sich gefangen und, während sie das Frühstück zubereitete, berichtete sie mir, dem zehnjährigen Schulkind, was Dr. Blaha gesagt hatte. Danach waren am Vortag mehrere sowjetische Lastkraftwagen erschienen. Leicht verwundete Soldaten, die noch laufen konnten, mussten die Wagen besteigen, während andere mit Tragbahren zu anderen LKW geschafft wurden. Nur Schwerverwundete und Verstümmelte wurden nicht mitgenommen. Mein Vater und ein anderer deutscher Arzt wurden gezwungen, je einen der LKW zu besteigen und mitzufahren. Niemand wisse wohin. Meine inzwischen verstorbene Mutter und ich wissen bis heute nicht, wo mein Vater gestorben ist. Meiner Mutter wurde um diese Zeit auch klar, dass sie und ich in nächster Zeit aus dem Haus getrieben und nach Deutschland abgeschoben werden würden. Denn die deutschen Familien in der benachbarten Eduard–Knoll–Straße waren von dem neuen tschechischen Wohnungsamt schon Ende Juni 1945 aus ihren Häusern verjagt worden. Warum sollte es uns besser ergehen? Und so war es auch, es dauerte nur einige Zeit. Zunächst quartierte sich ein sowjetischer Offizier bei uns ein, was einerseits lästig war, denn meine Mutter musste für ihn kochen und seine Sachen in Ordnung halten, andererseits schützte es uns vor Übergriffen. Die immerwährende Frage meiner Mutter nach dem Verbleib ihres Mannes konnte er nicht beantworten, meinte aber in seinem harten Deutsch, er käme bestimmt zurück, wenn seine Aufgabe in der Sowjetunion `fertig´ sei. Auch zwei junge tschechische Frauen, die eigentlich ganz umgänglich waren und gut Deutsch konnten, wohnten zeitweilig bei uns, sodass meine Mutter und ich nur noch die Räume im Erdgeschoss benutzen konnten. Die beiden Frauen ließen keinen Zweifel daran, dass unsere Tage in unserem Haus gezählt seien. Ende April 1946 wurde der sowjetische Offizier versetzt. Wenige Tage später erschien eine mehrköpfige Kommission, die nur tschechisch sprach und meiner Mutter sagte, es sei soweit für den `odsun´, die Abschiebung. Man durchsuchte alle Räume, kippte vieles auf den Boden und forderte meine Mutter auf, ihre Sachen zu packen. Mehr als fünfzig Kilogramm pro Person waren aber nicht erlaubt. Das wussten wir schon von anderen Deutschen und waren darauf vorbereitet. Ich trug einen Rucksack und eine Tasche. Mit meiner freien Hand hielt ich die Hand meiner Mutter, die einen ziemlich großen Rucksack auf dem Rücken hatte und mit der freien Hand einen Koffer schleppte. Nie in meinem Leben habe ich den kalten Maimorgen des Jahres 1946 vergessen.

 

Samstag - der längste Tag!

Er beginnt auf Seite 81 mit dem Besuch der alten Schule. Am Abend geht es mit den Darstellungen und der Diskussion weiter. Nachdem Dr. Steiner, ein Nachfahre der wegen ihres evangelischen Glaubens aus dem Bistum Salzburg Vertriebenen, seinen abenteuerlichen Weg von Gumbinnen (Ostpreußen, jetzt: Gussew) über Oregon/USA zu seiner Abiturklasse auf eine sehr persönliche Weise anschaulich geschildert hat, schwindet bei den ehemaligen Schülern immer mehr die bislang vorhandene Scheu, über die damalige Zeit zu berichten und dabei ausführlicher und persönlicher zu werden. So erfährt der Leser auf unterhaltsame Weise aus der Sicht eines Schulkindes von der teilweise dramatischen Evakuierung aus den bombengefährdeten Großstädten, von zeittypischen Eingewöhnungsschwierigkeiten, von verbohrten und prügelnden Nazi - Lehrern - aber auch von anderen! - sogar von der heimlich beobachteten Exekution unerwünschter Ostarbeiterinnen in der Schlussphase des Krieges. Der aus Darmstadt stammende Floh, ein emeritierter Professor für Mathematik und bekannter Schachmeister, hält einen kenntnisreichen, gleichwohl persönlich gefärbten Vortrag über den Untergang seiner Vaterstadt im September 1944 und welche Rolle der in Darmstadt aufgewachsenen britische Wissenschaftler Lindemann dabei gespielt hat. Danach gehört der Samstagabend der Geselligkeit. Das Paulchen Plumm, der - nach Aufgabe seines Arztberufs - ein beliebter Sänger und Rezitator geworden ist, hat seinen umjubelten Auftritt - andere Klassenkameraden auch. Außerdem erfährt der Leser ununterbrochen von zeittypischen, teilweise lustigen, teilweise tragischen, aber auch von pubertär bedingten Erlebnissen.

 

Als Leseproben werden nachfolgend die Seiten 168 und 169
(Untergang Darmstadts am 11.9.1944)

 

Mit den gespreizten Fingern seiner rechten Hand demonstrierte der Floh, wie man sich die Fächertaktik der Bomber vorstellen muss und fuhr fort: „Sofort nach dem Überfliegen des Exerzierplatzes wurden von den ersten Bomberstaffeln die Sprengbomben und Luftminen ausgelöst mit den bekannten Folgen. Von den nachfolgenden Bomberstaffeln wurden fast 300.000 Elektron–Thermitstäbe, die auch flüssiges nicht löschbares Phosphor enthielten, in die aufgerissenen Dachstühle abgeworfen und setzten diese sofort in Brand. Der Feuersturm, der sich dann binnen einer einzigen Stunde entwickelte, ist eine einfache Erscheinung der angewandten Physik: Die brennenden Häuser erhitzen die darüberliegende Luft. Die heiß gewordene Luft steigt nach oben und wird von unten durch kalte Luft erneuert. Die neue, sauerstoffreiche Luft facht die Flammen weiter an, macht sie immer größer, bis sie selber heiß wird und nach oben steigt, um ihrerseits durch neue kalte Luft von unten ersetzt zu werden. Dieser Kreislauf wiederholt sich, bis nichts Brennbares mehr in der Nähe ist. Ihr könnt Euch gewiss vorstellen, wie dadurch die Feuerlohe immer weiter aufgeheizt wird. Die Folge ist der alles vernichtende Feuersturm. Die sich fortpflanzende ungeheure Hitze mit Temperaturen von über 1000 Grad erzeugte Windgeschwindigkeiten bis zu 240 Kilometer pro Stunde, also doppelt so schnell wie ein Hurrikan. Und weil dieser kochend heiße Wind wegen der Bebauung nicht den kürzesten Weg ins Freie einschlagen kann, braust er mit Urkraft durch die verwinkelten Straßen und Gassen der Altstadt, reißt Funken und brennende Trümmer mit sich und entzündet und verbreitet so das Feuer weiter. Keine Feuerwehr der Welt hätte hier etwas ausrichten können, so auch in meiner Vaterstadt. Die dicht an dicht lodernden Brände vereinigten sich binnen einer Stunde zu einem einzigen lodernden Feuersturm, wie in einem Kamin, der die gesamte Altstadt erfasste und vernichtete. In den Luftschutz–Lehrgängen hatte man gelernt: Wenn das Haus brennt, muss man möglichst bald nach dem letzten Bombenabwurf raus aus dem Keller und sich über die verkraterten und mit Trümmern übersäten  Straßen mit nassen Tüchern über Kopf und Körper zu den wenigen offenen Plätzen wie Parks oder große Gärten durchschlagen. Wer dabei den falschen Weg wählte oder hinfiel, war verloren!

 

Seiten 189 bis 191 (Paulchen und Mariza singen im Duett)

 

Wieder viel Beifall von allen Seiten, vor allem von den Damen.
„Wie wunderschön!", freute sich Frau Steiner und lächelte das Paulchen an. Dieser verbeugte sich und bemerkte: „Dass der Text dieses Liedes, es hat übrigens noch eine weitere Strophe, von Heinrich Heine stammt, werden die meisten von Euch wissen. Aber von wem stammt die Vertonung? Weiß das jemand?"
Alles schwieg zunächst. Paulchen wollte schon etwas sagen, aber Mariza kam ihm zuvor: „Das war Felix Mendelssohn-Bartholdy aus Leipzig! Liebes Paulchen, da musst Du schon schwerere Fragen stellen!"
Paulchen strahlte Mariza an: „Völlig richtig, liebe Mariza! Ich weiß noch, dass Du ja auch aus Leipzig stammst. War Deine Mutter dort nicht Sängerin? Ich hab das noch so in Erinnerung!"
„Dass Du das noch weißt!", staunte Mariza und fuhr fort: „Aber sie war in erster Linie Operetten-Sängerin! Die österreichisch-ungarischen Operetten von Strauß, Lehár, Kálmán usw., das war ihr Repertoire. Unzählige Male sang sie die `Gräfin Mariza´ von Emmerich Kálmán. Natürlich kannte ich als Kind alle Lieder daraus und habe sie auch selbst oft gesungen. Deshalb kennt mich die Klasse nur als `Mariza´, nicht als Ruth."
Paulchen wurde auf einmal ganz zappelig: „Liebe Mariza, dann lass uns doch gemeinsam ein Duett aus der `Gräfin Mariza´ singen. Ich kenne eines, wo sogar von Rosen die Rede ist."
„Bestimmt meinst Du `Komm’ mit nach Varazdin, solange noch die Rosen blühn´, antwortete Mariza.
Aus der Klasse kamen aufmunternde Zurufe. Das Paulchen und die Mariza, so ein Duett gab es noch nie. Von ihr wusste man noch von früher, dass sie sehr ausdrucksvoll singen konnte, während er während seiner Schulzeit nie als Sänger aufgefallen war, höchstens als jemand, der die damals bekannten Schlager und Gassenhauer nachahmte. Da das Paulchen der Christel dieses Mal kein Notenblatt überreichen konnte, summte er ihr die Melodie ins Ohr, was diese wiederum veranlasste, durch eine lässige Handbewegung anzudeuten, dass ihr diese Melodie nicht die geringsten Schwierigkeiten bereite. Und so war es auch. Mit betonter Munterkeit hieb Christel in die Tasten, spielte das schmissige Vorspiel und nickte den beiden Sängern aufmunternd zu. Die hatten sich längst an den Händen gefasst, blickten einander schmachtend in die Augen und sangen, als stünden sie in Wien auf der Bühne des Operettentheaters, alle Strophen dieses Duetts aus der Zeit der untergegangenen Donaumonarchie. Jetzt hielt es auch Icks und Adler nicht mehr länger auf der Kegelbahn. Sie mengten sich unter die anderen und amüsierten sich genauso wie alle über das Bild, das die schlanke und elegante Mariza und das einen halben Kopf kleinere und pummelige Paulchen boten.

 


sowie die Seiten 202 und 203 (Pubertät) wiedergegeben.

 

`Männer, was ich erlebt habe, das kann man nicht haarklein erzählen! Das muss man selbst erlebt haben! Nur soviel: Ich war mit dem Karlheinz aus meinem Heimatort Nierstein auf dem Weinfest in Oppenheim. Der Karlheinz kam mit seinem Mädchen, der Bärbel, ich freute mich auf meine Tante, die ich schon während der Osterferien bei der Arbeit im Weinberg kennen gelernt hatte. Wir verstanden uns von Anfang an prächtig, obwohl sie doch älter ist. Während des Tanzes und im Festzelt haben wir uns schon mächtig aneinandergedrückt! Es war gegen zehn Uhr, als der Karlheinz den Vorschlag machte, gemeinsam einen Spaziergang durch die Weinberge oberhalb von Oppenheim zu machen. Der Blick runter wäre so schön! Wer kann da Nein sagen? In den Weinbergen gibt es manchmal so kleine Häuschen, worin sich die Winzer zurückziehen, wenn’s einmal plötzlich regnet. Dort zog es uns hin. Im ersten Häuschen war bereits ein Franzose mit seinem Mädchen. Die beiden waren schon in medias res, wie der Lateiner sagt. Der Franzose wies uns aber den Weg zu einem freien Nachbarhäuschen. Und dort, ja, ja, wie soll ich das ausdrücken? Also es war einfach himmlisch! Das kann man nicht erzählen! Das muss man selbst erleben! Ich wollte einfach nicht mehr fort! Der Karlheinz musste mich und meine Tante regelrecht aus dem Häuschen rausschieben. So habe ich mich halt verspätet!´
Keiner von uns war mit dieser Schilderung zufrieden. Der Floh war regelrecht ärgerlich: `Mensch Minna! Du feierst Deine Premiere in einem Winzerhäuschen und willst uns jetzt mit so einer Kurzgeschichte abspeisen! Das geht einfach nicht, das ist nicht kameradschaftlich! Erzähl endlich, wie es wirklich war!´

Minna feixte nur vieldeutig und fragte Floh: `Woher willst Du wissen, dass es meine Premiere war?´ Dann schwieg er.

 

Sonntag - der letzte Tag, der wunderbar beginnt und tragisch endet

Am Sonntag, nah dem gemeinsamen Gottesdienst, erfährt der erschütterte Icks von der Mariza, dass er der Vater ihrer miterschienenen Tochter Eva ist. Im Schlossgarten unter vier Augen schildern sie einander ihren Lebensweg seit der Trennung und finden wieder zueinander. Nachdem der englischstämmige Mitschüler Sir Henry sich den seit über fünfzig Jahre gehegten Wunsch, seiner alten Klasse seinen Bericht über die dramatische Flucht seiner Familie aus dem von der Roten Armee eingeschlossenem Elbing in Westpreußen vortragen zu können, endlich erfüllt hat, gehört alle Aufmerksamkeit dem unerwartet am Sonntag doch noch mit seiner 92 Jahre alten Mutter erschienenen Klassenprimus und Nobelpreisträger Waldemar Wetzel aus den USA. Von ihm, mehr noch von seiner jüdischen Mutter, erfährt die bis dahin völlig unwissende Klasse die wahre Herkunft der Familie und ihren Leidensweg von Moskau bis Beerheim Als Leseprobe werden die Seiten 273 und 274 wiedergegeben.

 

Seiten 273 bis 274 (der ehemalige Klassenprimus und seine dominante Mutter beginnen mit ihren bewegenden Biografien)


WW lehnte sich zurück und warf einen kurzen, prüfenden Blick auf seine Mutter, deren dunkle Augen aufleuchteten, bevor sie in ihr für sie so typisches herzliches Lachen ausbrach:

"Ja, ja, Deine alte Mutter, eine Urkundenfälscherin! Das habe ich aber weniger wegen der Beerheimer, sondern wegen der Amis getan. Wir wollten ja in die USA auswandern. Ich habe mir gedacht: Eine Geburt in Breslau ist den Amis nicht so suspekt wie eine in Moskau. Und das war auch so! Aber mein Mann Wilhelm Wetzel, Wladimirs Vater, war Breslauer. Und da habe ich glückliche Monate erlebt, bis die Nazis an die Macht kamen. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Heuer geht es nicht um meine, sondern um Eure Geschichte. Es ist ja Euer Abituriententag!"

Nochmals lachte Frau Milstein auf, dann sank sie zurück und schloss die Augen.

Die Klasse schwieg höchst überrascht. Jeder spürte, dass soeben ein Geheimnis aufgedeckt worden war und dass von WW und seiner Mutter in dieser Hinsicht noch mehr zu erwarten war. Dr. Steiner fasste sich als Erster und rief, ruckweise die Worte hervorstoßend:

"Unser WW - geboren als Kind deutscher Eltern 1936 in Moskau - als der Terror Stalins kurz vor seinem Höhepunkt war!  Schauprozesse!  Verbannung in den Gulag!  Morde! Lieber WW, Du musst uns unbedingt erzählen, wie Deine Eltern und Du es nach Beerheim geschafft haben! Ich bin außerordentlich interessiert und ich hoffe, Deine ehemaligen Klassenkameraden sind es auch!"

Alle sahen zum WW. Dieser blickte wieder zur Seite, zu seiner Mutter, und sagte:

"Das könntest Du doch viel besser als ich! Meine Erinnerung setzt erst in Deutschland ein, als wir im Gefängnis waren. Du hast ja alles selbst erlebt und erlitten und warst damals eine junge Frau. Du könntest aus dem Stegreif vortragen! Es darf bloß nicht zu lange dauern, Du musst Dich zurückhalten!"

"Ich will aber nicht im Mittelpunkt stehen. Schließlich ist es Deine Klasse und Dein Abituriententag!" antwortete sie. Aber WW ließ nicht locker:

"Doch, doch, ich glaube nämlich, die Zeit ist gekommen, dass wir beide meiner Klasse und meinem Klassenlehrer wenigstens in aller Kürze berichten, wer wir wirklich sind und wie wir damals nach Beerheim gekommen sind. Du hast in Berkeley doch schon öfters dazu referiert und die Amis immer in riesiges Erstaunen versetzt".

 

Wegen der fortgeschrittenen Zeit - der Abend sollte wieder der Geselligkeit gehören - kommt es zu keinen Kurzbiografien mehr, was zu gereizten Reaktionen derjenigen führt, die aus Zeitgründen nicht mehr zu Wort kommen. Kurz vor dem gemeinsamen Festessen mit anschließender Feier kommt es zu einem tragischen Ereignis und damit zum Ende des Klassentreffens.

 

 

 

 

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